MCM Ultratrail-Läufer besteht Härtetest MOZART100 in Vorbereitung auf den UTMB World Series Major Europe im spanischen Vielha

MCM Ultratrail-Läufer und Trainer Daniel Böcker (41) startet am kommenden Wochenende in sein großes Abenteuer bei den UTMB World Series Majors Europe in Vielha (Spanien). Auf der alpinen Strecke mit einer Länge von 161 Kilometern sind über 10.000 Höhenmeter zu bewältigen. Das Rennen zählt damit zu den härtesten 100 Meilen-Läufen der Welt. Über 3.000 Athlet*innen aus mehr als 60 Ländern treten auf den vier angebotenen Distanzen an, darunter auch die internationale Topelite der Trailszene.

MOZART100 der ultimative Härtetest für Daniel Böcker

Bei  der 10. Auflage des MOZART100 in Salzburg hat er hierzu den letzten Härtetest absolviert. Als Teil der Rennserie UTMB World Series ist der MOZART100 eines von 30 Qualifikationsrennen für die Finalläufe im August 2023 in Chamonix am Mont Blanc gewesen und zog deshalb in diesem Jahr viele internationale Top-Athleten an. Bei extremen Wetterbedingungen mit bis zu 35 Grad hatten die 586 Starter*innen ganze 105 Kilometer und 5.000 Höhenmeter in einem Zeitlimit von 22 Stunden zu bewältigen. Daniel beendet das Rennen auf Platz 258 der Gesamtwertung in 17:24:55 Stunden. Er schildert uns das Ultra-Lauferlebnis aus seiner Perspektive. Dabei nimmt er uns auf alle Höhen und Tiefen mit, auf eine Trail-Reise durch die Bergwelt rund um Salzburg. Er lässt uns aber am mentalen Erleben einer solchen Extrem-Belastung teilhaben, die ihn besonders nach einem Sturz auf der Strecke und unter den Eindrücken einer Hitzeschlacht in allen ihren Auswirkungen getroffen hat.

Rennverlauf MOZART 100 für Daniel Böcker in Daten

Höhen und Tiefen einer Trail-Reise durch das Salzburger Land und das Innere eines Ultra-Trail-Läufers unter extremen Bedingungen

Salzburg, 0 Kilometer
4:45 Uhr: Ich reihe mich weit vorne im Startblock ein, unweit der Profiläufer*innen. Um mich herum sehe ich nur Topathleten*innen mit fokussiertem Blick. Alle die hier stehen, sind in Höchstform und fiebern, genau wie ich, dem ersten alpinen Saisonhighlight entgegen. Durch die Teilnahme des MOZART100 an der UTMB World Series ist die Leistungsdichte im Starterfeld extrem hoch – das spürt man hier mit jeder Faser. Ich habe mir vorgenommen, in den ersten Stunden des Wettkampfs möglichst viel Strecke hinter mich zu bringen, denn die vorhergesagten Temperaturen sind mit 30 Grad und mehr geradezu furchteinflößend. Um 5 Uhr fällt der Startschuss und es geht mit atemberaubender Geschwindigkeit raus aus der Stadt.

Fuschl, 31 Kilometer/900 Höhenmeter
Mit knapp über 3 Stunden für die ersten 30 Kilometer liege ich gut in der Zeit und bin vielleicht sogar etwas zu schnell unterwegs. Auch wenn ich immer wieder überholt werde, bleibe ich meiner Linie treu und drehe nicht komplett auf. Wer das Streckenprofil studiert hat, weiß, dass das Rennen jetzt erst beginnt. Ich will nun noch einmal meine Stärken ausspielen, bevor die Temperaturen steigen und freue mich auf den anstehenden alpinen Teil der Strecke.

Zwölferhorn, 41 Kilometer/2.100 Höhenmeter
Der höchste Punkt des Rennens auf 1.500 Seehöhe. Über 1.000 Höhenmeter waren bis zum Gipfel zu bewältigen. Ich bringe diese in einem Stück ohne auch nur einmal anzuhalten hinter mich. Das Training und die knapp 70.000 Höhenmeter die ich in der Vorbereitung gesammelt habe, zahlen sich nun aus – viele Läufer*innen, die mich auf dem flachen Teil der Strecke überholt haben, lasse ich am Berg stehen. Am Gipfel treffe ich auf viele Touristen, die uns applaudieren. 1.000 Höhenmeter geht es nun wieder bergab in Richtung Fuschlsee. Ich drücke ordentlich aufs Gas in meiner Paradedisziplin dem Bergablaufen in technischem Gelände.

Downhill nach St. Gilgen, 44 Kilometer/2.100 Höhenmeter
Es gibt kein Halten mehr, ich bin Flow. Hier fühle ich mich wohl und lasse es bergab richtig rollen. Knapp 50 Plätze mache ich gut. Euphorie und Selbstvertrauen steigen ins Unermessliche. Auf einem steilen Trail mit viel Geröll fliege ich förmlich an zwei staunenden Wanderern vorbei und frage mich was die beiden wohl gerade denken. Meine Gedanken schweifen ab und für einen kurzen Augenblick fehlt die volle Konzentration. Als mir dies bewusst wird, ist es schon zu spät. Ich stürze schwer bei voller Geschwindigkeit. Der Schmerz ist sofort da und ich bin mir sicher, dass das Rennen nun für mich vorbei ist. Mein Arm ist blutüberströmt und mein Oberschenkel schmerzt heftig. Ich setzte mich an den Wegrand und mache mich an die Schadensbewertung. Nach einigen Minuten wage ich die ersten Schritte und laufe vorsichtig wieder an. Der Oberschenkel schmerzt bei jedem Schritt. Ich kann nicht mehr mein gewohntes Tempo im Downhill laufen. Zum Glück sind es nur noch drei Kilometer bis zum Verpflegungspunkt.

St. Gilgen, 47 Kilometer/2.100 Höhenmeter
Die letzten Kilometer waren nicht nur schmerzhaft, sondern auch die Hitze macht sich jetzt immer mehr bemerkbar. Die Wunde an meinem Arm pocht und immer wieder setzten sich Fliegen und andere Insekten darauf. Ich lasse sie gewähren, bin ich doch viel zu sehr damit beschäftigt, den Verpflegungspunkt zu erreichen. Endlich angekommen, lasse ich vom Sani-Team die Wunde an meinem Arm und die gerade erst entdeckte Wunde an meinem Knie reinigen. Die Prellung am Oberschenkel schmerzt weiterhin stark, aber ich habe die Hoffnung, dass es im Laufe des Rennens wieder besser wird. Ich gönne mir eine großzügige Pause und statte mich mit neuer Verpflegung aus. Ab hier sieht meine geplante Strategie vor, penibel auf meinen Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt zu achten. Ich bin mir sicher, dass dies entscheidend sein wird, bei den vorhergesagten Temperaturen und werde am Ende Recht behalten. Für einige Läufer*innen ist das Rennen bereits hier vorbei. Ich sehe Tränen und die Enttäuschung in den Gesichtern. Auch das ist Ultratrail.

Kurz vor der Schafbergalm, 58 Kilometer/3.000 Höhenmeter
Die Hitze ist jetzt erbarmungslos. Ich nutze jede Wasserquelle, die mir begegnet, um mein Cap nass zu machen und um meine Flaschen aufzufüllen. Die Elektrolyttabletten kommen nun vermehrt zum Einsatz. Ich versuche im Anstieg, etwas Zeit wiedergutzumachen. Dabei rutscht meine Herzfrequenz rutscht deutlich in den hohen GA2-Bereich. Das ist eigentlich keine clevere Idee und nach ca. 30 Minuten harter Anstrengung bergan, bekomme ich die Quittung. Mein Sichtfeld verengt sich und meine Beine werden weich. Ich muss handeln und werfe mich im letzten Moment auf die dem Berg zugewandte Seite des Trails. Auf der anderen Seite wäre es steil bergab gegangen. Es dauert fast 15 Minuten, bis ich wieder in der Lage bin weiterzumachen. Die Marschrichtung für den Rest des Rennens ist nun klar und ich korrigiere mein Ziel von 16 Stunden auf „heile“ ankommen. An der Schafbergalm setze ich mich mit einem Red Bull (davon gibt es hier mehr als Wasser) in den Schatten und lege mein Mindset für die kommenden Stunden fest.

St. Gilgen, 66 Kilometer/3.300 Höhenmeter
Es ist nun endgültig zu heiß, um noch annähernd im Wettkampftempo zu laufen. Der Asphalt flimmert und mir strömt der Schweiß aus allen Poren. Ich lege jetzt auch im Flachen immer wieder Gehpausen ein um nicht zu überhitzen. All das macht mir aber nichts aus, denn ich kontrolliere jetzt wieder mein Rennen, habe alles wieder selber in der Hand. Rund um den See mit seinem türkisenen Wasser gibt es immer wieder wunderschöne Badestellen. Ich stelle mir  vor, wie schön es jetzt wäre, einfach in den See zu springen. Aber dafür ist keine Zeit, denn hier muss noch etwas zu Ende gebracht werden.

Fuschl, 75 Kilometer/3.500 Höhenmeter
Der letzte Streckenabschnitt war zermürbend. Eigentlich gut laufbar, doch die Sommerhitze macht zügiges Vorankommen unmöglich. Insbesondere auf den Asphaltabschnitten steht die Wärme und es gibt kaum noch Schatten. Auf einem Thermometer an einem Bauernhaus lese ich 37 Grad ab. Dann endlich der lang ersehnte Verpflegungspunkt in Fuschl. Im kalten Brunnen wasche ich mir den Schweiß und das Blut vom Körper und gönne mir ein neues Shirt aus meinem Dropbag. Für viele Läufer*innen geht es hier nicht mehr weiter, zu sehr haben sie sich verausgabt und zollen dem hohen Anfangstempo nun Tribut. Auch ein Bekannter kann ab hier nicht mehr weitermachen, was mir sehr leidtut, war er doch so gut in das Rennen gestartet. Wie schon das ganze Rennen über habe ich persönlich aber auch jetzt keine Zweifel, es ins Ziel nach Salzburg zu schaffen. Ich schaue zum ersten Mal an diesem Tag auf mein Handy und bin ergriffen von den vielen Nachrichten. Auch die MCM Trainingsgruppe fiebert mit und voll motiviert geht es für mich auf die letzten 30 Kilometer.

Koppl, 95 Kilometer/4.200 Höhenmeter
Der letzte große Anstieg steht bevor. Es geht hinauf auf den 1.000 Meter hohen Nockstein. Oben angekommen bin ich ganz allein am Gipfel. Der wunderschöne Sonnenuntergang lässt Melancholie aufkommen. Ich reflektiere die letzten 8 Monate, in denen ich so hart trainiert habe wie noch nie in meinem Leben zuvor. Langsam wird mit bewusst, dass der MOZART100 eigentlich nur mein letzter langer Lauf ist und, dass das große Abenteuer erst noch bevorsteht. Auf technisch etwas anspruchsvolleren Trails geht es nun bergab. Wie schon oft zuvor löst sich die Anstrengung mit Überschreiten der magischen 100 KM Marke in Luft auf. Auch mein Oberschenkel schmerzt nicht mehr. Auf dem Weg hinunter nach Salzburg mache ich wieder viele Plätze gut.

Kapuzinerberg, 103 Kilometer/4.800 Höhenmeter
Ich erreiche die letzte Verpflegungsstation und fülle noch einmal eine meiner Flaschen auf. Jetzt geht es unglaubliche 600 Stufen hinauf zum Kapuzinerberg. Aber mit dem Ziel vor Augen halten auch sie mich nicht mehr auf. Oben angekommen, muss ich doch noch meine Stirnlampe aufsetzten – es ist jetzt einfach zu dunkel, um ohne Licht sicher voranzukommen. Der Abstieg vom Kapuzinerberg führt uns direkt in die Altstadt von Salzburg, die am Samstagabend um 22 Uhr aus allen Nähten platzt. Die Menschen jubeln uns zu und applaudieren auf einer Strecke von fast 2 Kilometern. Was für ein Gefühl! Mir wird wieder einmal klar, was für eine außergewöhnliche Leistung wir hier erbringen und wie dies auf Außenstehende wirken muss. 105k mit 5.000 Höhenmeter an einem Stück – für „normale“ Menschen außerhalb der Vorstellungskraft.

Salzburg, 105 Kilometer/5.000 Höhenmeter
Der letzte Kilometer ist angebrochen. Ich ziehe das Tempo noch einmal an und fliege in Richtung Ziellinie. Unglaublich, dass meine Beine das jetzt noch im Tank haben. Der Zielbogen ist rot erleuchtet und unzählige Menschen säumen den roten Teppich, der hier beim MOZART100 auf den letzten 100 Metern vor dem Ziel ausgelegt ist. Nach 17 Stunden und 25 Minuten ist es soweit und trotz der extremen Wetterbedingungen, komme ich nur knapp 1.5 Stunden nach meiner geplanten Zielzeit an. Im Ziel warten schon meine Freunde Kati und Anke auf mich, die am Mittag den Halbmarathon gelaufen sind. Die Ultrafamilie hält zusammen. Von Ihnen erfahre ich, dass ich der einzige unserer Bekannten bin, der es ins Ziel geschafft hat. Insgesamt müssen 113 Läufer*innen das Rennen vorzeitig beenden – bei 568 Teilnehmenden.